Der Dieb vom Tannenhof
Ein Adventstagebuch zum Mitkombinieren
von Privatdetektiv Alfred Endrikat
1. Dezember
Morgen geht’s los. Einen ganzen Monat
lang keinen Fall lösen! Stattdessen mal
wieder auf dem „Tannenhof“
ausspannen, schlafen, spazieren gehen,
lesen und vor allem: Plätzchen
genießen! Die gute Frau Wurmdobler!
Wie hat sie mich letztes Jahr
verwöhnt! Wenn ich an ihr
wunderbares Weihnachtsgebäck denke!
Sie macht es nach uralten
Familienrezepten … Hhmm!!! … Mir
läuft schon das Wasser im Mund
zusammen!
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
2. Dezember
Schrecklich! Keine Weihnachtsplätzchen auf
dem Tannenhof! Frau Wurmdobler kann
nicht backen, weil das alte,
handgeschriebene Rezeptbuch aus ihrer
Wohnstube gestohlen wurde. Außer ihr und
ihrem Mann haben nur die Feriengäste
Zugang zum Haus. „Es muss einer der Gäste
gewesen sein“, seufzte sie. „Sie als Detek t iv
können doch bestimmt schnell herausfinden,
wer es war!“ Tja, wenn ich Plätzchen haben
will, muss ich wohl. Aber schnell? Nein, nein
– jeden Tag ein kleines Schrittchen.
Schließlich bin ich im Urlaub!
3. Dezember
Beim Frühstück begegnete ich zum ersten Mal den übrigen Gästen: dem Ehepaar
Bluntschli aus der Schweiz, Frau Svoboda und Herrn Dolezal aus Wien, dem Ehepaar
Cremer aus Berlin und den Schwestern Adelheid und Edelgard Schulze aus München. Da
das Rezeptbuch im Werbeprospekt des Tannenhofs erwähnt und abgebildet ist, konnte
jeder davon wissen. Folglich sind alle verdächtig. Ich muss das Motiv für den Diebstahl
finden. Oder das Buch. Am besten gleich beides!
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
4. Dezember
Frau Wurmdobler zeigte mir ihren Schreibtisch. Die
Schublade, in dem sie das Rezeptbuch aufbewahrt
hatte, war leer, oder besser: fast leer. Ich fand
nämlich einen kleinen dunkelbraunen Knopf darin. Frau
Wurmdobler wunderte sich: „Noch nie gesehen! Keine
Ahnung, wem der gehört.“ Dann gab sie mir ihren
Generalschlüssel für die Gästeappartements. „Sie
müssen aber sehr vorsichtig sein, damit niemand etwas
merkt. Ich möchte, dass die Sache unter uns beiden
bleibt!“ Den Knopf nahm ich mit. Vielleicht führt er
mich zum Dieb?
5. Dezember
Beim Spaziergang begegnete ich dem
Schweizer Ehepaar Bluntschli. Beide gut
gekleidet, elegant, seriös, offenbar
wohlhabend. Trotzdem machten sie einen
deprimierten Eindruck. Das einzig Fröhliche an
ihnen war ihr großer weißer Pudel. Er brachte
mir einen bunten Gummiball, den ich für ihn
werfen sollte. "Lecker - lecker - Bluntschli-
Keks!" stand da drauf. Ist das eine zufällige
Namensgleichheit oder besitzen diese Leute
tatsächlich eine Keksfabrik?
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
6. Dezember
Nachmittag, herrliche Sonne. Ich saß auf dem
Balkon und döste vor mich hin. Nach einer Weile
weckte mich ein Handysignal von einem der
anderen Appartements. Eine männliche Stimme
meldete sich. Leider konnte ich nur ein paar
Satzfetzen verstehen: „… Nein, wir wollen
hunderttausend … Sie wissen, dass das noch
sehr günstig ist … schwierig genug, das Buch zu
bekommen …“ Dann wurde eine Tür geschlossen
und es war nichts mehr zu hören. Ich glaube,
die Stimme hatte einen österreichischen
Akzent.
7. Dezember
Heute durchsuchte ich das Appartement von
Karlheinz und Anneliese Cremer. Leider fand
ich keine Spur von dem Rezeptbuch, dafür eine
Postkarte, aus der ich jedoch nicht schlau
wurde:
„Liebe Gabi, herzliche Grüße vom Tannenhof.
Ich versuche, mich zu erholen. Die letzten
Wochen waren anstrengend. Ständig musste
ich auf Karlheinz aufpassen. Diese Angst, es
könnte wieder passieren! Hoffentlich kommt
er hier auf andere Gedanken. Wenn nicht,
muss er endlich eine Therapie machen. Bis
bald, Deine Anneli.“
Seltsam. Was hat denn der Mann? Ist er
etwa Alkoholiker?
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
8. Dezember
Heute Morgen erzählte Frau Wurmdobler im
Frühstücksraum, dass sie und ihr Mann am
Vormittag in die S t adt fahren würden. Ich
bekam mit, wie Adelheid Schulze ihre
Schwester anstupste. Die beiden hatten
offensichtlich etwas vor. Ich legte mich auf die
Lauer und tatsächlich: kurz darauf schlich
Edelgard in die private Wohnstube der
Wurmdoblers! Durch den Türspalt sah ich, wie
sie den Schreibtisch durchsuchte und dann mit
enttäuschtem Gesicht wieder abzog. Was
hoffte sie zu finden? Einen verlorenen Knopf?
Ich muss mir die Kleidung der Schwestern mal
genauer ansehen.
9. Dezember
Das Pärchen aus Wien machte heute einen
Ausflug. Es war für mich die erste Gelegenheit,
das Appartement der Österreicher gründlich
unter die Lupe zu nehmen. Auf dem
Nachtkästchen fand ich einen Tannenhof-
Prospekt, bei dem die Abbildung des
Rezeptbuches dick mit rotem Filzstift
eingekreist war! Daneben lag eine Visitenkarte:
„Antiquariat Swoboda & Dolezal. An- und
Verkauf von seltenen Büchern. Kreislergasse 12
a, A-1030 Wien“
Klingt interessant, oder?
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
10. Dezember
Heute wollte ich mich nochmal in der
Ferienwohnung der Cremers umsehen. Als
ich den Schlüssel ins Türschloss steckte,
rief jemand: „Hallo! Sie!“ Ich zuckte
zusammen und fuhr herum. „Ach, Herr
Wurmdobler!“, seufzte ich erleichtert,
aber der Hausherr erwiderte mein Lächeln
nicht. „Was machen Sie denn da?“, fragte
er misstrauisch. „Na, Sie wissen doch …“,
ich zwinkerte mit dem Auge. Er reagierte
nicht. Wie? Wusste er etwa nicht?
Vorsich t shalber gab ich mein Vorhaben
auf und zog mich in mein Appartement
zurück. Kopfschüttelnd sah er mir nach.
11. Dezember
„Mein Mann hängt so an dem Buch!
Ich habe ihm nicht gesagt, dass es
weg ist“, erfuhr ich von Frau
Wurmdobler. „Es ist von seiner
Urgroßmutter Anastasia. Sogar der
bayerische König war süchtig nach
ihren Plätzchen. Aber die Rezepte
dürfen nicht veröffentlicht werden.
Da, lesen Sie selbst.“ Sie reichte
mir ein vergilbtes Testament. Mit
Mühe entzifferte ich die
altertümliche Handschrift:
„… meine Rezepte sollen für immer
das Familiengeheimnis der
Wurmdoblers bleiben!“.
Hm, eine sehr eigenwillige Frau,
diese Anastasia!
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
12. Dezember
„Mandeln, Haselnüsse, Feigen, Zimt, Koriander,
Muskatnuss, Kirschwasser, Rosinen“
Diese Einkaufsliste fand ich heute im
Papierkorb der Bluntschlis. Die Schweizer
scheinen tatsächlich auf Plätzchen spezialisiert
zu sein. In ihrem Appartement roch es nämlich
nach frischem Gebäck, in der Kochnische
entdeckte ich Mehlstaub und der Backherd war
noch warm. Ich zeigte Frau Wurmdobler die
Liste. „Ich kann ja leider nicht im Rezeptbuch
nachsehen“, murmelte sie, „trotzdem bin ich
sicher, dass man all diese Zutaten auch für
unsere Tannenhof-Plätzchen benötigt.“ Aha!
13. Dezember
Ich suchte bei den Schulze-Schwestern
nach einem Kleidungsstück, an dem der
Knopf fehlt. Ich war so vertieft, dass ich
ihre Rückkehr zu spät bemerkte und mich
gerade noch hinter einen Vorhang retten
konnte. „Ohne das Bild können wir ihm gar
nichts beweisen“, rief Adelheid wütend.
„Warum hast du nicht besser aufgepasst?“
„Ich!?“, erwiderte Edelgard empört. „Du
hattest es doch!“ Kurze Pause. Dann
Adelheid: „Im Auto vielleicht?“ Sie rannten
raus, ich atmete auf und verschwand, so
schnell ich konnte. Leider musste ich meine
Suche abbrechen.
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Der Dieb vom Tannenhof
14. Dezember
„Sehr geehrter Herr Oberholzer, Ihrem
Schreiben vom 27. 11. entnehme ich, dass Sie
unseren Geschäftskredit kündigen wollen. Für
unsere Firma wäre dies das Ende. Bedenken Sie,
dass wir bald mit einem sensationellen neuen
Gebäck auf den Markt kommen, von dem wir
eine große Umsatzsteigerung erwarten. Bitte
überdenken Sie Ihre Entscheidung noch
einmal.“
Diesen Briefentwurf fand ich heute in der
Manteltasche des Herrn Bluntschli. Kein
Wunder, dass er so unglücklich aussieht! Seine
Firma steht vor der Pleite. Was das wohl für
ein ‚neues Gebäck’ ist? Doch nicht etwa …?
15. Dezember
Heute konnte ich mich noch mal bei
Cremers umsehen, fand aber kein
Kleidungsstück, an dem ein Knopf fehlte.
Dafür entdeckte ich meine eigene
Brieftasche unter ihrem Bett! Wie kam
sie dort hin? Ich hatte kein Sakko an,
konnte sie also heute nicht verloren
haben. Bei meinem ersten Besuch? Ich
versuchte, mich zu erinnern. Dabei bekam
ich zunehmend das Gefühl, dass sich in
dem Raum etwas verändert hatte. Aber
was? Schließlich musste ich laut lachen,
weil die Sache ebenso offensichtlich wie
harmlos war!
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
16. Dezember
Wenn eine junge Dame bei vier Grad unter
Null im dünnen T-Shirt herumläuft, erregt
das meine Aufmerksamkeit … als Detektiv
natürlich! Ich folgte Frau Svoboda also
vorsichtig zum Brennholzschuppen, blinzelte
um die Ecke und was sah ich? Die Wienerin
lächelte Herrn Wurmdobler verführerisch
an und gurrte: „Könnten Sie mir das Buch
denn nicht wenigstens mal zeigen?“ „Nein!“,
brummte er. „Und jetzt gehen Sie bitte!
Der Zutritt für Gäste ist nicht erlaubt.“
17. Dezember
Auf meinem Spaziergang begegnete
ich den Bluntschlis. Sie waren plötzlich
so fröhlich wie ihr Pudel. Als ich nach
dem Grund ihrer guten Laune fragte,
luden sie mich in ihr Appartement ein.
Dort servierten sie Tee und frisches
Teegebäck, das himmlisch schmeckte.
„Das neue Produkt der Firma
Bluntschli!“, erklärte Frau Bluntschli
und ihr Mann ergänzte: „Das waren
zwei Wochen harte Backarbeit!“ Ich
gratulierte, wünschte viel Erfolg und …
strich im Geist die Bluntschlis von der
Liste der Verdächtigen.
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
18. Dezember
Beim Glühwein in der Dorfwirtschaft kam
ich mit der alten Wirtin ins Gespräch. Ich
brachte das Thema auf Anastasia
Wurmdobler. „Meine Großmutter hat sie gut
gekannt“, meinte die Wirtin. „Ja, ja, die
Anastasia, die wollte immer hoch hinaus!“
„Aber sie soll doch eine richtige
Meisterbäckerin gewesen sein“, widersprach
ich, „und sogar der bayerische König soll
doch …“. „Hihi, das alte Märchen“, kicherte
sie. „Küchenhilfe war sie, beim Hofbäcker
und später hat sie dann den Wurmdobler
geheiratet. Den König hat die doch in ihrem
ganzen Leben nicht gesehen!“
19. Dezember
Heute Vormittag konnte ich
endlich den Kleiderschrank der
Schulzes durchsehen.
Fehlanzeige! Nirgends fehlte auch
nur ein einziger Knopf. Dafür
fehlten mir aber die Worte, als
ich die Personalausweise der
jungen Damen entdeckte. Die
Dokumente waren auf Adelheid
und Edelgard ‚von Peschkendorff’
ausgestellt. Warum gaben die
beiden Schwestern bei Frau
Wurmdobler nicht ihren richtigen
Namen an? Peschkendorff? Der
Name kommt mir irgendwie
bekannt vor …
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Der Dieb vom Tannenhof
20. Dezember
„Ich glaube, der Cremer hat das Buch!“,
sagte Frau Wurmdobler. „Wie kommen Sie
denn darauf?“, fragte ich. „Ich habe
beobachtet, wie er Klopapier aus meiner
Toilette gestohlen hat und einen
Salzs t reuer und zwei Löffel vom
Frühstücksbüffet!“ Jesusmaria! Die
Postkarte! „… muss ständig auf Karlheinz
aufpassen … es könnte wieder passieren …
hoffentlich kommt er auf andere
Gedanken … wenn nicht, muss er eine Therapie machen …“. Cremer ist kein Alkoholiker,
er ist Kleptomane! Er hat mir die Brieftasche gestohlen, und … den ‚Schulze’-
Schwestern das Porträt des Fritz von Peschkendorff!
21. Dezember
‚Von Peschkendorff’ – dieser Name hat mir
keine Ruhe gelassen. Deshalb ging ich heute in
die Gemeindebibliothek und nahm mir
verschiedene Nachschlagewerke vor. In einem
alten Lexikon wurde ich dann tatsächlich fündig.
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Der Dieb vom Tannenhof
22. Dezember
Als ich heu t e Abend am Appartement der
Cremers vorbeiging, hörte ich drinnen
jemand weinen. Ich lauschte an der Tür.
„Ich mache das nicht mehr mit,
Karlheinz!“, schluchzte die Frauenstimme.
„Diese dauernde Angst! Du musst endlich
zu einem Psychologen!“ Eine männliche
Stimme antwortete: „Ja doch, Anneli! Du
hast ja Recht! Morgen nach dem
Frühstück bringe ich die Sachen alle
zurück, du kannst dich darauf verlassen!
Und gleich nach dem Urlaub beginne ich
mit einer Therapie.“
23. Dezember
„… können wir unsere Ansprüche
einwandfrei beweisen und fordern
Sie hiermit auf, unser Eigentum
herauszugeben …“
Das Hemd, der fehlende Knopf am
Ärmel und der Brief, den ich in der
Brusttasche fand, beantworten alle
Fragen! Damit steht fest, wer das
Rezeptbuch hat. Es ist jetzt neun
Uhr früh. Ich habe also noch den
ganzen Tag Zeit, das Ding zu
finden. Ich denke, dass ich den Fall
pünktlich zum Heiligen Abend
abschließen kann!
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
24. Dezember
„Unser Rezeptbuch!“, jubelte
Frau Wurmdobler. „Herr
Endrikat, Sie sind ein Genie!
Wer hat es gestohlen? Bei wem
haben Sie es gefunden?",
wollte sie wissen. „Das sind
verschiedene Fragen, auf die
es auch verschiedene
Antworten gibt", erwiderte
ich. „Bevor ich die Lösung
verrate, möchte ich das Buch
aber an seine rechtmäßigen
Eigentümer zurückgeben.“
Hallo! Wenn Sie mein Adventstagebuch
genau gelesen haben, können Sie die
folgenden drei Fragen sicher auch selbst
beantworten:
1. Wer hatte das Rezeptbuch
gestohlen?
2. Bei wem fand ich das Rezeptbuch?
3. Wem werde ich das Rezeptbuch
zurückgeben?
Ich drücke Ihnen dabei die Daumen!
Schöne Festtage und ein gutes neues
Jahr!
Ihr Alfred Endrikat, Privatdetektiv
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
Auflösung:
Die richtigen Antworten lauten:
1. Anastasia Wurmdobler
2. Anton Wurmdobler
3. Adelheid und Edelgard von Peschkendorff
„Unser Rezeptbuch!“,
jubelte Frau Wurmdobler.
„Herr Endrikat, Sie sind ein
Genie! Wer hat es denn
gestohlen?", wollte sie
wissen. „Und wo fanden Sie
es?“
"Auf diese Fragen gibt es
verschiedene Antworten",
erwiderte ich. „Bevor ich die
Lösung verrate, möchte ich
das Buch aber an seine
rechtmäßigen Eigentümer
zurückgeben.“ Mit diesen
Worten reichte ich das Buch Adelheid ‚Schulze’.
Frau Wurmdobler sah mich verwirrt an. „Aber, aber, Herr Endrikat, das ist doch …“
„…das kostbare Rezeptbuch des
berühmten königlich-bayerischen
Hofbäckers Fritz von Peschkendorff, bei
dem die Urgroßmutter Ihres Mannes
Küchenhilfe war“, ergänzte ich. „Anastasia
stahl es, als ihr Arbeitgeber 1894 starb.
Dann heiratete sie den Urgroßvater Ihres
Mannes, gab das Rezeptbuch als ihr
Eigentum und sich selbst als ehemalige
Hofbäckerin aus. Die Wahrheit durfte
natürlich nie ans Licht kommen, darum
verfügte sie testamentarisch, dass die Rezepte für immer ein Familiengeheimnis bleiben
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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Der Dieb vom Tannenhof
sollten.
„Ja … aber, warum geben Sie denn Fräulein Schulze das Buch?“, fragte Theresia
Wurmdobler.
„Nicht Schulze, sondern ‚von Peschkendorff’!“, antwortete ich. „Die beiden jungen
Damen hier sind nämlich Nachkommen des Hofbäckers. Durch Zufall erkannten sie auf
Ihrem Prospekt die Handschrift ihres Vorfahren und schickten einen Brief, in dem sie
das Buch zurückverlangten, stimmt’s, Herr Wurmdobler?“
„Ja“, brummte der. „Ich hab immer geahnt,
dass mit dem Ding was nicht stimmt. Die
Handschrift passte nicht zu der meiner
Urgroßmutter. Aber das Rezeptbuch und die
Plätzchen waren eine gute Werbung für den
Tannenhof! Darum habe ich mir weiter keine
Gedanken gemacht. Als dann dieser Brief
kam, schien es mir die beste Lösung, so zu
tun, als sei das Buch gestohlen worden. Ich
konnte ja nicht ahnen, dass meine Frau einen
Detektiv mit dieser Sache beauftragt!“
„Nicht schimpfen, schließlich ist Weihnachten!“, riefen Adelheid und Edelgard von
Peschkendorff. „Sie bekommen von uns eine Kopie des Buches und dürfen damit weiter
Werbung für Ihren Tannenhof machen.“
„Ähem, und wir bieten Ihnen 20.000 Euro für das Buch“, wandte sich nun Herr Dolezal
an die Schwestern und Frau Svoboda klimperte mit ihren Wimpern dazu.
„20.000!?“, wollte ich protestieren. „Und für
100.000 verkaufen Sie es dann weiter, was? So eine
Unverschämtheit!“
Aber Adelheid und Edelgard von Peschkendorff
ersparten mir den Wutausbruch.
„Tut uns leid!“, sagten sie. „Es gibt Dinge, die
verkauft man nicht!“
Was für ein schönes Schlusswort! Nun wird auch mir
endlich so richtig weihnachtlich ums Herz!
Idee und Texte: Franz Specht, Zeichnungen: Gisela Specht © Max Hueber Verlag 2003
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